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Meine Reise zur PSPO I Zertifizierung: Zwischen Scrum Guide und KI-Sparringspartner

80 Fragen in 60 Minuten. 80% richtig für’s Bestehen. 45 Sekunden pro Frage. Eine Prüfungsgebühr von 200 USD, die ich nicht zweimal bezahlen wollte. Am Ende waren es 96,3%.

Der Ausgangspunkt

Nach drei Jahren als Product Owner für eine IT-Security Software kam der Anstoß von unserer Agile Coach: Ich solle doch mein Wissen festigen und den offiziellen Beweis erbringen. Ein Zertifikat. Ahnung hatte ich ja, aber wir arbeiteten mit einer Scrum/Kanban-Mischung, und ob das noch „richtiges“ Scrum war, konnte ich nicht wirklich beantworten.

Praktische Erfahrung und Prüfungswissen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich konnte ein Product Backlog managen, Features priorisieren und mit Stakeholdern umgehen. Aber konnte ich auch die spezifischen Fragen beantworten, die der Scrum Guide aufwirft?

Mit 200 USD ist die PSPO I vergleichsweise günstig. Bei anderen Zertifizierungen geht es schnell um das Zehnfache, weil immer gleich eine Weiterbildung mitverkauft wird. Alle Lernressourcen, die ich nutzte, waren kostenlos. Nur die Prüfung selbst kostet.

Meine Lernstrategie

Der Scrum Guide als ständiger Begleiter

Ich habe mir den Scrum Guide ausgedruckt und wochenlang überall mit hingenommen. Im Zug, in Meetings, abends auf der Couch. Ich wollte ihn verinnerlichen, nicht auswendig lernen.

Das führte zu Momenten, die für Außenstehende vermutlich seltsam wirkten. In Meetings, wo es um Prozesse ging, habe ich den Guide tatsächlich aus meiner Tasche gezogen und die relevanten Stellen vorgelesen. „Moment, steht hier anders.“ Die Blicke der Kollegen kann man sich vorstellen. Aber genau das half mir, Theorie und Praxis zu verbinden und ich konnte das Gelernte auch in Gesprächen mit Kollegen aus anderen Teams anwenden.

Ich merkte ständig: Das machen wir anders. Nicht immer falsch, aber anders. Der Guide ist erstaunlich präzise, wenn man ihn wirklich liest.

Claude als gnadenloser Lernpartner

Ich habe KI (Claude, um genau zu sein) als Lernpartner eingesetzt. Ich habe mir einen spezifischen Prompt gebaut, der Claude in den „PSPO I Prüfungsmodus“ versetzte, und dann strukturierte Lernsessions durchgeführt: zu Product Backlog Management, Product Vision & Strategy, Sprint Planning und allen anderen Themen.

Ein Beispiel aus meinen Sessions:

Claude: Ein Entwicklungsteam fragt dich als Product Owner, ob sie ein Item aus dem Product Backlog in zwei kleinere Items aufteilen können, weil es zu groß für den aktuellen Sprint ist. Wie reagierst du?

Ich: Option C: ich lasse das Team selbst entscheiden, da sie die technische Expertise haben. Der PO entscheidet das „Was“, das Team das „Wie“.

Claude: Interessant! Du liegst nicht ganz richtig. Lass mich weiterfragen: Wenn das Team ein Item aufteilt – verändert sich dann das „Was“? Wer sollte hier entscheiden, ob diese Aufteilung Sinn macht? Und vor allem: Warum?

Die richtige Antwort war B: Mit dem Team besprechen, wie die Aufteilung sinnvoll erfolgen kann. Weil die Aufteilung das Was verändert und das ist PO-Verantwortung.

Das Frustrierende daran: Meine „falsche“ Antwort hätte in der Praxis wahrscheinlich auch funktioniert, aber sie war weder optimal noch Scrum-konform. Und diese Momente häuften sich. Jede Session zeigte mir neue Lücken in meinem Verständnis.

Das hat mein Imposter Syndrom ordentlich angefeuert. Drei Jahre Product Owner, und ich wusste offenbar weniger, als ich dachte. Gleichzeitig war genau das der Wert: herausgefordert zu werden.

Die Test-Marathons

Die offiziellen Open Assessments hatte ich relativ schnell gemeistert. Das Problem: Der Fragenkatalog ist begrenzt, die Fragen wiederholen sich. Nach ein paar Durchläufen erkennt man die Antworten, bevor man die Frage zu Ende gelesen hat.

Versuch Punkte Zeit
1 13/15 10 min
4 15/15 5 min
8 15/15 2 min
10 15/15 2 min

Von 13/15 in 10 Minuten zu 15/15 in 2 Minuten, das war eigentlich Musterkennung, kein echtes Wissen. Es sagte mir wenig darüber, ob ich die echte Prüfung bestehen würde.

Also suchte ich nach weiteren Testfragen. Bei Mikhail Lapshins Quiz hatte ich im ersten Versuch 66/80, wieder ein Realitätscheck. Die Fragen dort sind härter, teilweise interpretierbar, manchmal umstritten.

Trotzdem fühlte ich mich bis zuletzt nicht ready. Die Ergebnisse wurden besser, aber die Unsicherheit blieb. Am Ende war es meine Frau, die sagte: „Jetzt mach doch endlich den Test. Du kannst das doch eh alles.“ Sie hatte recht.

Die besonderen Herausforderungen

Während meiner Vorbereitung lief im Hintergrund ein echtes Drama ab: Unsere Product Vision stand zur Diskussion. Die Geschäftsführung debattierte zwischen „Zielkunden anpassen“, „Vertrieb anpassen“ oder „Abbruch“.

Der Scrum Guide ist da eindeutig: Der Product Owner hat das letzte Wort bezüglich seines Produkts. Er ist verantwortlich für die Maximierung des Wertes.

Die Realität sah anders aus. Ich saß in diesem Meeting, hatte eine klare Vorstellung davon, was getan werden musste, aber die Entscheidung durfte ich nicht treffen. Stattdessen musste ich Stakeholder Management betreiben, alle wichtigen Personen überzeugen, argumentieren, hoffen.

Ich lernte über Product Vision und Strategy und erlebte gleichzeitig live, was passiert, wenn genau diese Vision fehlt. Oder genauer: wenn du als PO zwar eine hast, aber sie nicht durchsetzen kannst.

Frustrierend und lehrreich gleichzeitig. Der Scrum Guide beschreibt ein Ideal. Die Praxis ist politischer, chaotischer, menschlicher. Die Zertifizierung hat mir geholfen, den Unterschied zu erkennen und zu verstehen, wo wir als Organisation noch hin müssen.

Was ich gelernt habe

Scrum ist nicht kompliziert, sondern präzise. Der Guide ist erstaunlich klar, wenn man ihn oft genug liest. Viele „Best Practices“ in der Praxis sind eigentlich Abweichungen vom Framework. Manche pragmatisch, andere kontraproduktiv. Die Vorbereitung hat mir geholfen, das zu unterscheiden.

KI als Lernwerkzeug hat für mich gut funktioniert, als Sparringspartner, der mich mit meinen Wissenslücken konfrontiert.

Tipps für andere

  1. Lies den Scrum Guide. Nicht überfliegen. Lesen. Mehrmals. Nimm ihn mit in Meetings. Ja, die Kollegen werden dich komisch anschauen. Download von scrumguides.org

  2. Nutze KI als Sparringspartner. Lass dich herausfordern. Die falschen Antworten bringen mehr als die richtigen.

  3. Die offiziellen Tests reichen nicht. Such dir härtere Fragen. Mikhail Lapshins Quiz ist unbequemer und deshalb besser.

  4. Dokumentiere deinen Fortschritt. Klingt nerdig, motiviert aber ungemein.

  5. Irgendwann musst du es einfach machen. Wenn jemand in deinem Leben sagt „du kannst das doch eh“: hör auf diese Person.

Nützliche Ressourcen

Alle kostenlos, du brauchst nur Zeit und Disziplin.

Pflichtlektüre:

Offizielle Assessments:

Externe Quizzes:

Fazit

Das Zertifikat selbst befähigt mich in meiner täglichen Arbeit wohl kaum. Aber der Weg dorthin schon. Die Lernsessions, die Konfrontation mit meinen Wissenslücken, das Verbinden von Theorie und meiner chaotischen Praxis, das war es wert.

Und jetzt frage ich mich: Was kann ich alles lernen, wenn ich mir vornehme, das PSPO 2 zu machen?

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